Claviceps purpurea (FRIES.) TUL. (Purpurbrauner Mutterkornpilz)
Nomenklatur & Systematik
- Familie
Clavicipitaceae
- Gattung (botanisch) / Sektion
Claviceps
- Artname (botanisch)
Claviceps purpurea (FRIES.) TUL.
- Synonyme (botanisch)
Secale cornutum
- Gattung (deutsch)
Mutterkornpilz
- Artname (deutsch)
Purpurbrauner Mutterkornpilz
- Andere Artnamen & Volksnamen (international)
Afterkorn (ger.), Brandkorn (ger.), Ergot (ger., engl.), Ergot fungus parasite (engl.), Giftkorn (ger.), Hahnensporn (ger.), Hungerkorn (ger.), Krähenkorn (ger.), Mutterkorn (ger.), Purpurroter Hahnenpilz (ger.), Roter Keulenkopf (ger.), Schwarzkorn (ger.), Tollkorn (ger.), Wolfszahn (ger.), Zapfenkorn (ger.)
Geobotanik & Ökologie
- Geographische Herkünfte (H) / Verbreitungen (V) / Anbaugebiete (A)
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- Klimazonen
VI-Feuchte Mittelbreiten [25]
- Biotoptypen
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- Bodentypen / Bodenbedingungen
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- Standortfaktoren (Ökofaktoren)
- Licht
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- Temperatur
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- Feuchtigkeit
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- Wind
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- pH-Klasse
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- Stickstoff
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- Salz
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- Soziol. Pflanzencharakteristik
- Lebensform
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- Blattausdauer
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- Messtischblattfrequenz Mitteleuropas
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- Dominanz
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- Blütezeit
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- Erntezeit
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Pharmazie & Pharmakologie
- Nebenwirkungen / Risikobemerkungen
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CAVE: Wegen der Giftigkeit dürfen Mutterkorn-Präparate nicht eigenständig angewendet werden [15]. Früher kam es durch Verunreinigungen von Mehl mit Mutterkornpilz häufig zu Vergiftungen, welche als Krankheit "Antoniusfeuer" bekannt wurden [14]. Vergiftungserscheinungen äußerten sich durch Halluzinationen, Speichelfluss, Übelkeit/Erbrechen, Schweißausbrüche, Augenflimmern, Bradykardie, Muskelkrämpfe und Lähmungen, Kreislaufkollaps, wie auch Durchblutungsstörungen der Extremitäten, bishin zum Absterben ganzer Gliedmaßen [4][14][15]. Mehlverseuchungen führten zu regelrechten Epidemien [15][25]. Die erste Nachricht über eine solche Krankheit stammt aus dem Jahr 857 n. Chr. aus dem Kloster Xanthen. Im Jahr 922 sollen in Spanien und Frankreich >40.000 Menschen einer solchen Epidemie zum Opfer gefallen sein. Die Krankheit "Antoniusfeuer" trat in zwei verschiedenen Formen auf: Meist begannen beide Formen des Antoniusfeuers mit Kribbelmissempfindungen (Gefühl von Ameisenlaufen); die eine Form ging dann über in Gefühlsstörungen/Taubheit sowie Durchfall, schmerzhaften Krämpfen und zumeist Intelligenzschwächung/Verblödung, ohne dass die Patienten starben, die andere Form führte dann zum Absterben der Finger und der Extremitäten, woran die meisten verstarben [15]. Heute gibt es ständige Kontrollen, damit belastetes Getreide nicht in den Handel gelangt [14]. In der Medizin werden nicht-standardisierte Extrakte des Mutterkorns wegen des schwankenden Wirkstoffgehaltes nicht mehr verwendet [15]; die Verwendung von Mutterkornextrakt zum Stillen von Gebärmutterblutungen ist aufgrund der erheblichen Nebenwirkungen veraltet [4]. Auch das als Migränemittel eingesetzte isolierte Ergotamin hat potenziell schwere Nebenwirkungen (Gefäßkrämpfe, Hypertonie, Gefahr der Ergotismus), daher wird seine Verwendung streng medizinisch überwacht und oft nur kurz angewendet [24][25]
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[Erste Hilfe]: Bei akuten Vergiftungen muss für rasche Magenentleerung gesorgt und sofort der Arzt verständigt werden! [15]
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- Pflanzliche Inhaltsstoffe
- [Mutterkorn]: Fettes Öl [15], Eiweiß [15], >30 Indolalkaloide [4], Peptidalkaloide [4][32] (Ergotamine (wasserunlöslich; Ergotamin [4][15], Ergosin [15], Ergosinin [15]), Ergotoxine (wasserunlöslich; Ergocristin [15], Ergocristinin-Ergocryptin [15], Ergocryptinin [15], Ergocornin [15], Ergocorninin [15])), Ergoline (wasserlöslich; Ergometrin [4]/Ergobasin [15], Ergobasinin [15])), Lysergsäureamide (Ergin) [4][32], u.a.
- Pharmakologische Studienergebnisse
- Aus den im Mutterkorn enthaltenen Lysergsäureamiden wurde Lysergsäurediethylamid ("LSD") synthetisiert und 1943 eher zufällig dessen halluzinogenes Potential entdeckt. Die als LSD auch in der Drogenszene bekannte Substanz konnte die Erwartungen, bei der Therapie psychischer Erkrankungen als Arzneimittel hilfreich zu sein, nicht erfüllen [4]
- Isoliertes Reinalkaloid Ergotamin ist besonders bei Migräne aber auch bei Kreislaufstörungen einzusetzen [4]
- Isoliertes Reinalkaloid Ergometrin (= Ergomin) wird bei postpartalen Blutungen nach der Entbindung eingesetzt. Die blutstillende Wirkung wird durch die Uteruskontraktion (Uterustonus) erzielt. Es wird in einigen Ländern noch routinemäßig zur Minimierung postpartaler Blutungen eingesetzt [25]
- Ergometrin und Ergotamin haben eine α-sympatholytische Wirkung und binden an Noradrenalin, Dopamin und Serotonin-Rezeptoren [25]
- Vergleiche zu ähnlichen Pflanzen
- Mutterkorn ist die Überwinterungsform des Mutterkornpilzes (ein Schlauchpilz), welches sich anstatt der Getreideblüten auf den Ähren ausbildet [14]
- Die Vermehrung des Mutterkornpilzes geschieht entweder durch Windübertragung der Sporen auf andere Grasblüten oder über Insekten, welche den von abgeschnürten Sporen (Konidien) abgesondetem "Honigtau" auf andere Gras- oder Getreideblüten verbreiten [15]. Die Pilzsporen keimen auf den Blüten der Wirtspflanze sofort aus, dringen in die Fruchtknoten ein und entwickeln sich dort zu einem sklerosierendem Pilzmycel [15]
- Im Gegensatz zu den meisten anderen Vertretern seiner Gattung zeigt Claviceps purpurea nur eine relativ geringe Wirtsspezifität, d.h. neben dem Roggen (Secale cereale), der bevorzugten Wirtspflanze des Mutterkornpilzes, parasitiert dieser Mutterkornpilz auch auf andere Getreidearten, wie Triticale, Weizen, Hafer und Gerste, sowie auf etwa 200 Wildgräserarten, wie Quecke, Lolch oder Acker-Fuchsschwanzgras [14][24]. Diese geringe Selektivität ermöglicht dem Pilz das Überleben auf Wildgräsern am Feldrain nach der Getreideernte und eine Neuausbreitung nach der nächsten Aussaat [24]
- Erstmalig wurde über die medizinische Verwendung des Mutterkorns im Kräuterbuch des Lonicerus aus dem Jahr 1582 berichtet, in dem man es als wehenanregendes Mittel empfohlen hatte. Im 17./18. Jh. gebrauchten es nur die Hebammen, und von diesen übernahmen es später die Ärzte [15]
- Standortbesonderheiten (biochemisch / geoökochemisch)
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- Konservieren & Aufbewahren
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Medizin & Rezepturen
- Pharm. / labor. Studienergebnisse (Evidenzgrad V-VI)
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- Monographien (obsolet)
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- Homöopathie
- [+] Hom (D3-D6):
- Algesie / Schmerz: Migräne [14][15]
- Blutgefäße / Arterien: periphere Durchblutungsstörungen [4], zerebrale Durchblutungsstörungen [15], Gehirnerschütterung (Commotio) [15]
- Ernährung / Stoffwechsel: Diabetes [15]
- Frau: Gebärmutterkrämpfe [4], geburtseinleitend [14], Wehenschwäche [15], uterustonisierend [15]
- Haut / Nerven-ZNS: offene Beine [15], Gehirnblutungen [14], blutstillend [15]
- Herz-Kreislauf: Hypertonie [14][15]
- Magen-Darm: Magendarmstörungen [15]
- Nerven-PNS: Muskelkrämpfe [4]
- Nerven-VNS: Gefäßkrämpfe [14], neurovegetative Störungen [15]
- Psyche: Erregungs- und Angstzustände [15], sedativ [15]
- [+] Hom (D3-D6):
- Anthroposophische Medizin
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- Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- CAVE(ki): Schwangerschaft [25]
- Wechselwirkungen
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- Darreichungsformen & Zubereitungen
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[EbM/Monographien]:
- Standardisierte Fertigpräparate aus isoliertem Reinalkaloid Ergotamin (oder synthetisch veränderten Derivaten) als Migränemittel und Kreislaufmittel [4][15]
- Standardisierte Fertigpräparate aus isoliertem Reinalkaloid Ergometrin (= Ergomin) (oder synthetisch veränderten Derivaten) als Mittel der Geburtseinleitung [14] oder als Blutstillungsmittel in der Nachgeburtsperiode [4][15]
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[Volksmed. (früher)]:
- Gesamtextrakte des Mutterkorns [4]
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[Hom]:
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- Arzneimittel & Fertigpräparate (Beispiele)
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- Medizinische Rezepturen
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- Rezepte - Essen & Trinken
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Nutzpflanzenkunde & Ethnobotanik
- Nutzung nichtmedizinisch
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- Nutzung nichtmedizinisch (obsolet)
- [Kulturpflanze]: Der Mutterkornpilz wurde früher durch Infektion von Getreidefeldern (parasitische Kultur) kultiviert. Seine Kultivierung diente der Gewinnung der Droge "Mutterkorn" und der daraus zu gewinnenden Mutterkornalkaloide, wie LSD [24]. Heute wird der Mutterkornpilz nur noch im Labor in vitro auf Agerplatten kultiviert (saprophytische Kultur) [24]
- Ethnobotanische Bedeutung
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- Ethnobotanische Bedeutung (obsolet)
Quellenangaben
- [4] Schönfelder I. & Schönfelder P. (2011): Das neue Handbuch der Heilpflanzen; Franckh-Kosmos Verlag, Stuttgart
- [14] Hirsch S. & Grünberger F. (2006): Die Kräuter in meinem Garten; Freya Verlag, Linz
- [15] Pahlow M. (2006): Das große Buch der Heilpflanzen; Weltbild Verlag, München
- [24] Wikipedia (ff): Die freie Enzyklopädie / The Free Encyclopedia; https://www.wikipedia.org/
- [25] Busse B. (ff): Eigene Darstellung; PlantaMedia
- [32] DocCheck Flexikon (ff): Die Medizin-Community für Ärzte, Apotheker ...; http://www.doccheck.com/de/
- Autoren
Benjamin Busse
- Letzte Änderung
22.08.2025